Vakuum-FAQ V1.4 15.07.99
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Diese FAQ ist einem nur sehr selten eintretenden Fall gewidmed: ein
Mensch ist ungeschützt und plötzlich hartem Vakuum ausgesetzt.
Angeblich gab es bereits Unfälle in Vakuumkammern, von denen sogar
mindestens einer überlebt wurde, doch konnte dies bisher keine
verläßliche Quelle bestätigen. Sicher ist, daß noch kein Mensch aus
der Luftschleuse eines Raumschiffs geschleudert wurde.
Als trotz allem in der allgemeinen SF und damit auch bei Star Trek
hin und wieder auftauchendes Phänomen ist das Problem in
de.rec.sf.startrek.technologie häufig Gegenstand von Diskussionen.
Daher erscheint es sinnvoll, die Antwort auf die Frage ausführlich in
einer (Mini-)FAQ bereitzustellen: der Vakuum-FAQ.
#1: Was nicht geschieht
Irrglaube: Ein dem Vakuum ausgesetzter Mensch geht auf wie Hefeteig,
bis er schließlich platzt. So gesehen z.B. in 'Total Recall'.
Über die Glaubwürdigkeit eines Hollywood-SF-Actionstreifens mit
Arnold Schwarzenegger braucht man eigentlich nicht zu diskutieren.
Dennoch haben sich die Bilder bei vielen tief eingebrannt, und die
meisten, die noch nicht ernsthaft über dieses Thema nachgedacht haben
(und wie viele normale Menschen tun das wohl?) gehen einfach ganz
automatisch von diesem Fall aus.
(Die Filmszenen sind übrigens gleich doppelt falsch, denn der Mars
hat durchaus eine Atmosphäre. Aber das nur nebenbei.)
#2: Warum diese Vorstellung eine falsche solche ist
#2.1: Warum platzt der Mensch denn nun nicht?
Drehen wir die Frage um: warum sollte er denn platzen?
Wegen des Innendrucks des Körpers?
Leider hat der Mensch als solcher eben kaum einen Innendruck.
Der Körper besteht zu ca. 65% aus Wasser, Flüssigkeiten sind aber
praktisch nicht kompressibel, ihr Volumen ist unabhängig vom Druck.
Daraus folgert nun aber, daß sie sich im Vakuum nicht ausdehnen und
kein umgebendes Gewebe sprengen können.
Blieben noch die Gase: Viele freie Gase hat der Mensch nicht im
Körper; sehen wir einmal von eventuellen Darmwinden ab, die sich
ihren Weg mehr oder weniger unauffällig selbst suchen, und dem einen
oder anderen kleinen, vernachlässigbaren Lufteinschluß, der vielleicht
etwas zu schmerzen beginnt, bleibt gerade mal noch die Lunge.
In der Tat wäre es vermutlich äußerst ungesund, im Vakuum die Luft
anhalten zu wollen, weil sich der explosionsartig vom Druck befreite
Atem ein wenig rabiat seinen Weg nach draußen sucht. Der Brustkorb ist
zu stabil, um gesprengt zu werden, doch das Lungengewebe dürfe schwer
in Mitleidenschaft gezogen werden, bevor sich der Atem auf den
bequemsten Weg durch die Luftröhre nach draußen macht. Dabei wird dann
einfach der Kehldeckel aufgedrückt, ohne daß das Opfer sich
nennenswert dagegen wehren könnte. Luftanhalten hilft nicht, Folks.
#2.2: Das Totschlagargument
Am einfachsten zu verdeutlichen ist die Sache, wenn wir sie aus
ihrer ungewohnten Umgebung reißen. Das Vakuum im All ist eine sehr
abstrakte Sache, die man sich naturgemäß schwer vorstellen kann.
Die Druckdifferenz zwischen dem Luftdruck auf NN und hartem Vakuum
entspricht der zwischen dem Druck auf NN und dem Wasserdruck in 10 m
Tiefe. Wie viele Taucher bisher geplatzt sind, die aus dieser Tiefe
in einem Zug auftauchten, darf jeder an den eigenen Hörnern abzählen.
#3: Was tatsächlich geschieht
In treuem Glauben an die Leute, die andere Leute auf den Mond flogen
und sogar wieder zurück, darf man sich hierzu wohl ruhigen Gewissens an
die Antworten halten, die das NASA IMAGE/POETRY Education and Public
Outreach Program [0] auf den Seiten "Ask the Space Scientist" [1] und
"Ask the Astronomer" [2] dazu bereit hält. Daß diese Erkenntnisse
vermutlich unter Verschleiß von Tieren gewonnen wurden, lassen wir im
Namen der Wissenschaft unter den Tisch fallen. Auf jeden Fall darf
Untenstehendes zur Zeit als wissenschaftlicher Status Quo gelten.
--------------------------------------------------- Beginn Zitat [3] --
What happens when a human is exposed to a vacuum?
According to popular science fiction accounts, on a space station
orbiting Saturn, a man inside a punctured spacesuit swells to monstrous
proportions and explodes. On Mars, the eyes of a man exposed to the
near-vacuum of the martian atmosphere, pop out of his head and dangle
by their optic nerves on the sides of his face. En route to Jupiter on
the Discovery spacecraft, Astronaut Dave Bowman space walks for
15 seconds with no helmet, and in no apparent pain, succeeds in
reentering the Discovery through an open hatch. Fortunately, only in
science fiction stories do humans ever come into direct contact with
the vacuum of space, but these contacts are often portrayed as having
horrific consequences.
To experience the vacuum is to die, but not quite in the gristly
manner portrayed in the popular movies Total Recall and Outland. The
truth of the matter seems to be closer to what Stanley Kubrik had in
mind in 2001: A Space Odyssey.
According to the McGraw/Hill Encyclopedia of Space, when animals are
subjected to explosive decompression to a vacuum-like state, they do
not suddenly balloon-up or have their eyes pop out of their heads. It
is, in fact, virtually impossible to compress or expand organic tissues
in this way. Instead, death arises from the response of the free gasses
trapped within the tissues. If decompression takes 1/2 second or
longer, even lung tissue remains intact. When the ambient pressure
falls below 47 millimeters of mercury, about 1/20 the atmospheric
pressure at sea level, the water inside all tissues passes into a
vapour state beginning at the skin surface. This causes the collapse of
surface cells and the loss of hugh amounts of body heat via
evaporation. After six seconds, the process of cell collapse involves
the heart and lungs causing circulatory interruption, followed by acute
anoxia, convulsions and the relaxation of the bowel muscles. Yes,
that's right. If you take your helmet off in space, within less than a
minute your suit may fill up with fecal matter. After 15 seconds,
mental confusion sets-in, and after 20 seconds you become unconscious.
You can survive this for about 80 seconds if a pressure higher than
about 47 millimeters of mercury is then reestablished.
------------------------------------------------------- / Ende Zitat --
Das Problem liegt im Sinken des Siedepunkts bei fallendem Druck. Wenn
dieser unter 47 mmHg ( = 6266 Pa = 0,063 Bar) fällt, beginnt das
Wasser der Hautzellen zu verdampfen und sie platzen (ja, tatsächlich!).
Dieser Prozeß beginnt an der Oberfläche der dem Vakuum ausgesetzten
Haut, wozu natürlich auch Schleimhäute und das empfindliche
Lungengewebe zählen. Als Nebeneffekt dieser Verdunstung wird dem Körper
Wärme entzogen, und sogar sehr viel - der Effekt ist der
Gefriertrocknung nicht unähnlich. Sechs Sekunden nach Eintritt der
explosiven Dekompression kollabiert der Kreislauf, akute
Unterversorgung der Organe mit Sauerstoff, Krämpfe und die Entspannung
innerer Körpermuskeln folgen. Nach fünfzehn Sekunden setzt geistige
Verwirrung ein und nach zwanzig Sekunden Bewußtlosigkeit. Wird
innerhalb von achtzig Sekunden ein höherer Druck wiederhergestellt, ist
dennoch ein Überleben möglich, danach sind die Zellschäden zu umfassend.
Der Tod tritt ein.
#4: War das alles?
Posthum gibt es noch einige Möglichkeiten, was mit dem Körper
geschehen kann: im Orbit eines Planeten wird er früher oder später in
die Atmosphäre verglühen. Im sonnenfernen All wird er zu einem
Eisklumpen gefrieren, während er in Sonnennähe verkohlt. All diese
Faktoren jedoch wirken sich erst lange nach dem Tod durch das Vakuum
aus und sind daher (noch?) nicht Thema dieser FAQ.
#5: Quellenangaben, Danksagungen und Kommentare
#5.1: Quellen
[0] NASA IMAGE/POETRY K12 Space Science Site:
[1] Ask the Space Scientist:
[2] Ask the Astronomer:
[3]
alle (c) by Dr. Sten F. Odenwald
#5.2: Danksagungen
Danken möchte ich an dieser Stelle Werner Mittrup
für seine guten Zusammenfassungen
der Tatsachen in vielen drsst-Postings, Dr. Sten Odenwald
für die Genehmigung zum
Antwort-Recycling sowie Markus Mehring für seine
Verbesserungsvorschläge.
#5.3: Kommentare
Diese FAQ ist nicht vollständig, sie sollte und wird es auch nie
sein, ich bin bemüht, sie lesbar kurz zu halten. Für Kommentare,
Verbesserungen, Fakten, Nachrechnungen, Berichtigungen, Lob und
konstruktive Kritik bin ich aber dennoch immer dankbar.
Der Autor (Frank Hufschmied) ist unter erreichbar.